Eingangsbereich der Staatsgalerie Stuttgart, Oktober 2020
25. Januar 2021
Heute habe ich im Radio gehört, dass italienische Museen in den sogenannten gelben Zonen ab sofort wieder öffnen dürfen. Sehnsuchtsvoll warte ich nun darauf, dass auch hierzulande ein Museumsbesuch bald wieder möglich ist. Tübingen, Münster oder Rostock wären doch schon ein Anfang, das sind ja quasi gelbe Zonen. Gelb ist ja auch die Farbe der Lebenskraft und der Heilung, zumindest für mich. Überstreichen wir unsere trüben Gedanken mit gelb!
Das württembergische Märchenschloss Lichtenstein bei Reutlingen
Seit alters her gelten die Tage zwischen Weihnachten und den Heiligen drei Königen als eine besondere Zeit. Eine Zeit wie herausgefallen aus dem Alltäglichen, mystisch und geheimnisvoll, eine Schwellenzeit. Die zwölf heiligen Tage zwischen den Jahren werden auch die Rauhnächte genannt. Eine Zeit der Einkehr und der Stille, aber auch eine Vorbereitung auf das neue Jahr.
Die Menschen meinten früher, dass Geister, die Perchten, draußen ihr Unwesen trieben. Deshalb saßen sie hinterm warmen Ofen, ruhten sich von den Mühen des vergangenen Jahres aus und lauschten den Märchen und Geschichten der Alten. Gott Wotan soll mit seiner Wilden Jagd unterwegs gewesen sein, über die Felder gefegt und so auch wieder fruchtbaren Boden für das neue Jahr bereitet haben. Vorsichtshalber wurden nach Einbruch der Dunkelheit geweihte Kerzen aufgestellt, um die Wildgewordenen von den Gehöften fernzuhalten. Nach Einbruch der Dunkelheit sollte man möglichst nicht mehr aus dem Haus gehen.
In manchen Regionen werden jedoch heute noch die Maskierten, die diese Geister vertreiben, Perchten genannt. So ist es im Alpenraum Brauch, dass am 6. Januar zum Ende der Rauhnächte junge Männer unter gruselig aussehende Larven (Masken) und zottelige Fellkleidung schlüpfen und durch die Dörfer toben. Überflüssig zu sagen, dass diese alten Bräuche gut zum Pandemiegrusel der Jetztzeit passen.
Auch die Frau Holle aus dem Märchen hat mit den Rauhnächten zu tun und ist eine wahrlich schillernde Gestalt, die Gutes und Böses in sich vereint. Frau Holle wird in der Sagenwelt des Alpenraums auch als Perchta bezeichnet. Sie bestraft Faulheit und Verstöße gegen das Festspeisegebot. Die Bestrafung kann von einfachen Albträumen bis hin zum Aufschlitzen des Bauches reichen. Auch kann Perchtas Atem töten oder blenden.
Umgekehrt belohnt sie Fleiß und Hilfsbereitschaft. Neben vollen Spulen, goldenen Fäden und Flachsbündeln für Spinnerinnen verschenkt sie auch Münzen, die Mägde in Eimern (vorwiegend am Brunnen) finden. Sie soll aber auch für das Wachstum des Getreides zuständig sein. Brunnen oder Teiche sind auch die Orte, an denen Perchta die noch nicht geborenen Seelen hütet. In diesem Sinne gilt sie auch als Führerin der Schar der ungeborenen und der ungetauft verstorbenen Kinder.
Perchta tritt vor allem in den Rauhnächten auf. Ihr Tag ist vornehmlich der 6. Januar, der Dreikönigstag. Perchta soll in dieser Zeit durch die Lüfte fahren: Ihre Alias Frau Holle schüttelt die Betten…..
Julmond, der Vollmond im Dezember
Auch der letzte Vollmond im Dezember, Julmond genannt, verfügt über besondere Kräfte. Er soll die Menschen in den Rauhnächten auf sich selbst und das neue Jahr einstimmen. Altes und Unangenehmes wird losgelassen, das Neue, Bessere ist noch nicht greifbar, aber im Keim schon vorhanden. Der Julmond wurde deshalb auch Heilmond genannt.
Eine Märchenzeit, eine Art Mondzeit, eine Tor zur Anderswelt sind die Rauhnächte. Besonders auf die Träume soll man in den zwölf Nächten achten. Jede Nacht steht dabei für einen Monat des neuen Jahres. Alternativ können zwölf Wünsche für das neue Jahr auf Zettel geschrieben werden. Dann werden sie verbrannt, als Zeichen des Loslassens.
In den Rauhnächten ruhte früher jede Arbeit. Es ist eine Zeit des Lauschens, in der die Verbindung zur eigenen Seele und zur Natur in den Vordergrund rückt. Ein alter Volksglaube sagt auch, dass in den heiligen Nächten die Tiere sprechen. Lauschen wir, was der Schneevogel zu sagen hat. Vielleicht singt er auf weiter Flur ein neues Lied, um die Perchten zu vertreiben?
Schneevogel auf der Schwäbischen Alb
Fotos: Erwin Wörner
Quellen: Internet: http://www.wikipedia.org Buch: Vom Zauber der Rauhnächte, Vera Griesbert-Schröder und Franziska Muti, Irisiana Verlag TV: Über Perchtenbräuche: „Rauhnächte – wilde Jagd und stille Zeit“ – Doku-Fiktion auf 3sat.de
In der Advents- und Weihnachtszeit erstrahlen die Innenstädte, Gärten und Häuserfassaden in einem besonderen Lichterglanz, der auch die Seele erhellen soll. So wie die Tage immer kürzer werden, steigt auch die Freude auf die Weihnachtskerzen unterm Tannenbaum mit leuchtenden Kinderaugen. Klingt kitschig, ist aber eine schöne Tradition. Gerade in diesen harten Zeiten, scheint es, glitzern und leuchten die lichtvollen Installationen in den Städten noch mehr, um der Dunkelheit zu trotzen.
Nun, warum feiern wir eigentlich Weihnachten am 24.Dezember, um die Wintersonnwende herum? Es ist nicht belegt, dass Jesus an diesem Tag im Winter geboren ist. Belegt aber ist, dass das Datum der Wintersonnwende (am 21.oder 22.Dezember) nicht nur in heidnischen Kulten eine Rolle gespielt hat. Nach der längsten Nacht werden die Tage wieder länger und heller. Auch die polytheistischen Römer haben diese Wende im Jahreszeitenzyklus gefeiert: sie huldigten damit dem sol invictus, dem unbesiegbaren Sonnengott.
Sol invictus als Christ-Sonne, Mosaik aus der Nekropole unter der Peterskirche in Rom, 3.Jh.n.Chr
Belegt ist auch, dass die Römer am 25.Dezember des Jahres 274 erstmals auf Erlass des Kaisers Aurelian den Geburtstag des Sonnengottes feierten, was den Grundstein für das spätere Weihnachtsfest gelegt haben dürfte. Aurelian wollte die Glaubenseinheit innerhalb des Reichs fördern und unterstützte die Ausbreitung des Sol Invictus Kults, als dessen Günstling er sich feiern ließ. Die alten römischen Götter verloren derweil an Bedeutung.
So kam es, dass nicht nur die römischen Heiden, sondern auch frühe Christen Jesus als den unbesiegbaren Sonnengott assoziiert haben, wie es auch sehr eindrücklich auf einem Deckenmosaik aus dem 3.Jahrhundert n.Chr. zu sehen ist. Nicht das Kind in der Krippe wird hier dargestellt, sondern Christus als Sonnengott, der von aufbäumenden Pferden gezogen in einem Wagen über den Himmel fegt und wieder Licht in die Welt bringt. Weder Palmen noch Tannenbäume sind im Hintergrund zu sehen, sondern die Weinreben des Dionysos, die zum Wein Christi werden. Christus wird hier mit seinem Strahlenkranz als die „Sonne der Gerechtigkeit“ dargestellt (s.Bibel, Buch Maleachi).
Der römische Jupiter wird übrigens bei den Römern auch als invictus, als unbesiegbar tituliert und war der Oberste aller Götter. Von den alten Astrologen wurde der Planet als „das große Glück“ bezeichnet. In diesem Sinne dürfen wir mit den Unbesiegbaren auf ein glückliches und friedvolles 2023 hoffen.
Ach, was kann man an Adventswochenenden in diesem verflixten Jahr machen, wenn man das Gefühl hat, nichts geht voran? Spazierengehen zum Beispiel. An der Porta Suebica in Rottenburg steht ein schönes altes Fachwerk-Industriedenkmal am Neckar, ehemals Mühle und Asbestfabrik, das in den 80er Jahren zum Wasserschlössle mit 18 Wohnungen mutiert ist. Der Neckar, der hier das Revier von Schwänen, Bibern und Haubentauchern ist, lädt zu jeder Jahreszeit zum Verweilen und Schlendern ein. Er ist Teil der Stadtlandschaft, und weil gerade Hölderlin-Jahr ist, möchte ich bei der Gelegenheit eine Strophe der Ode an den Neckar zitieren:
Waldbaden ist seit Jahren schon in aller Munde. Man muss aber nicht shinrin yoku, den Trend aus Japan und Korea bemühen, denn in Deutschland ist der Wald tief im kollektiven Bewusstsein verankert: das menschliche Dasein hat seinen Ursprung in den Wäldern, seit den Gebrüdern Grimm spielen fast alle Märchen im Wald, der Wald ist Metapher und Sehnsuchtsort. Es gibt viele Publikationen zum Thema Wald, Waldbaden und dem geheimen Leben der Bäume, nun ist der Wald auch in der Medizin, genauer: der naturheilkundlichen Medizin angekommen. Immer mehr waldtherapeutische Ansätze (shinrin-ryoho) gibt es in Deutschland, wie auf dem naturheilkundlichen Ärzte-Kongress ZAEN in Freudenstadt mit dem Schwerpunkt Waldgesundheit zu erfahren war. Beim Thema Waldtherapie geht es im Gegensatz zum Waldbaden darum, Menschen, die psychisch oder physisch erkrankt sind, Genesung im Wald zu ermöglichen.
Wo aber Gefahr ist, da wächst das Rettende auch, scheint Hölderlin mit Blick auf den Stocherkahn zu denken. Ein ausnahmsweise mal leicht verständlicher Satz des schwäbischen Lyrikers, der im Hölderlinjahr 2020 und in Pandemiezeiten durchaus etwas Tröstliches hat (das Werk des Dichters, der in diesem Jahr seinen 250.Geburtstag feiert, hat ansonsten ja eher etwas Kryptisches). Der Künstler Ottmar Hörl hat nun der Stadt Tübingen und seinen Bürgerinnen und Bürgern 250 Plastik-Hölderline auf die Neckarmauer und die Stiftskirchentreppe gestellt, die noch bis zum 25.Oktober bewundert werden dürfen.
An der Neckarmauer sind sie fixiert, an der Treppe ist es erlaubt, den einen oder anderen Hölderlin umzuplatzieren oder sich neben ihn zu setzen. Bei der Gelegenheit ist auch die gut gemachte multimediale Ausstellung im Hölderlinturm zu empfehlen, die mir persönlich das Werk des Lyrikers etwas mehr erschlossen hat. Sie ist noch das ganze Jahr von Montag bis Donnerstag zwischen 11 und 17 Uhr bei freiem Eintritt zu sehen und mit allen Sinnen zu erfahren.
Er gilt nicht nur als der Hausberg der Tegernseer Region, nein, auch die Münchnerinnen und Münchner sehen ihn als „ihren“ Berg an: die Rede ist vom Wallberg, 1722 Meter hoch über Rottach-Egern gelegen, der zum Mangfallgebirge gehört. Gut, dass wir in einer Viertel Stunde mit der Gondel oben sind, ohne die Strapazen eines Aufstiegs. Hier oben liegt einem der Tegernsee zu Füßen.
Panta rhei, alles fließt, meinte Heraklit, so wie der Neckar die gut 360 Kilometer von seinem Ursprung bis zur Mündung. Der griechische Philosoph vergleicht das menschliche Sein mit einem Fluss. Alles fließt und nichts bleibt, alles ist nur ein ewiges Werden und Wandeln. Um wieder in den Fluss (oder den Flow) zu kommen, ist der gut ausgeschilderte Neckartalradweg zwischen Horb und Tübingen eine schöne Radleretappe.
Horb am Neckar
Ein wahrer Genuss ist es, sich durch die idyllische Flusswelt mit den pittoresken Weilern treiben zu lassen.
Wasserhüterin in Bieringen
Auch die weibliche Naturphilosophie beinhaltet das panta rhei des Heraklit. In Bieringen, das idyllisch an zwei Flüssen und Quellbächen liegt, begegnet einem das Kunstprojekt Wasserhüterinnen an der Brücke. Die Künstlerin Theresia K. Moosherr beschreibt es als Symbol des Weiblichen, als Bewahrerin der Schöpfung und für ein Denken, das auf Ganzheit setzt. Die Wasserhüterinnen sind auch am Mühlsteig in Bad Cannstatt zu sehen. Das Kunstprojekt soll eines Tages den ganzen Lauf des Neckars von der Quelle bis zur Mündung umspannen.
Immer am Fluss entlang geht es weiter. Wer jetzt seine Muskeln und Blutbahnen mit Magnesium und Calcium aus den hiesigen Quellen versorgen möchte, kann auf der Fahrt einen Abstecher zur Sprudelfabrik in Obernau machen. Oder als Alternative im nächsten Ort, Bad Niedernau, zur alten Römerquelle radeln. Das Wasser dort ist übrigens auch behütet, allerdings vom Relief des gallo-römischen Quell-und Heilgottes Grannus. Um zur Römerquelle zu kommen, muss man den Radweg verlassen und in den Ort hinein bis hinter den Kurpark radeln.
Weiter gehts nach Rottenburg. Auch hier wieder Spuren der Römer, die mit Sumelocenna eine der wichtigsten römischen Verwaltungsstädte im heutigen Baden-Württemberg gründeten.
Rottenburg: Blick auf Das Gästehaus am linken Ufer und die alte ManufakturSchwanenfamilie am Neckar in Rottenburg
Im 13.Jahrhundert war es Gertrud von Hohenberg, die Stammutter der Habsburger und spätere Königin Anna, die ihre Kindheit und Jugend auf der Weiler Burg oberhalb Rottenburgs verbrachte, als es Rottenburg am Neckar noch nicht gab. Im späten Mittelalter dann, im 15.Jahrhundert, in der neuen Stadt am Fluss, verhalf Mechthild von der Pfalz mit ihrem Musenhof Rottenburg durch Kunst und Kultur zur Blüte, stand mit den großen Humanisten ihrer Zeit in Kontakt und gab den Impuls für die Gründung der Universität Tübingen (der Name Eberhard-Karls-Universität geht auf ihren nicht minder wichtigen Sohn zurück, der auch einen Anteil daran hatte. Der spätere erste Herzog von Württemberg indes war nicht der Gründer der Uni, wie auf einem Mechthild-Symposium 2019 zu erfahren war). Seit dem 14.Jahrhundert bis 1805 gehörte Rottenburg zu Vorderösterreich, was man auch an den historischen Bauwerken am Marktplatz sieht. Einige Jahre später, nun als Teil Württembergs, wurde das katholische Rottenburg dann zu einer Diözese mit Bischofssitz.
Nur gut zehn Kilometer entfernt liegt die alte protestantische Residenz- und Universitätsstadt Tübingen. Zwischen den beiden so unterschiedlichen Städten schauet die Wurmlinger Kapelle still ins Tal hinab (Ludwig Uhland), eine Landmarke, die man kilometerweit sieht. Für mich beschließt sich hier die inspirierende Fluss-Etappe dann mit dem Wahrzeichen Tübingens, dem Hölderlinturm am Neckar, mitten drin im Postkartenmotiv mit Stocherkähnen. Hier gibt es nun die Option, vom Rad aufs Ruderboot, Tretboot oder in den Stocherkahn umzusteigen und dort die Seele baumeln lassen.
Neckarfront in Tübingen mit Hölderlinturm
Oder ins Museum im Hölderlinturm zu gehen: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch – dieses Zitat von Hölderlin wurde im Pandemiejahr zu einem regelrechten Leitmotiv. 2020 wurde der 250. Geburtstag des schwäbischen Lyrikers begangen. Auch wenn vieles im Jubiläumsjahr nicht stattfinden konnte: das neugestaltete Hölderlinmuseum lädt zu einem inspirierenden multimedialen Rundgang ein. Im Turm verbrachte der schwäbische Lyriker 35 Jahre seines Lebens in der Obhut der Schreinersfamilie Zimmer, hatte durch viele Fenster den Blick auf den Neckar, der Teil seines seelischen Erlebens war und hinderte seine Pflegefamilie am Schlafen, wenn er des nachts durch den Flur schritt, um seine Gedichte besser skandieren zu können.
Auch Elena tat dies im Hölderlinturm – beim Treppensteigen – und hat sich von dem schwäbischen Lyriker am Neckar für ihre eigenen Texte inspirieren lassen.
Nehmet wahr der Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch aber, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht ist bekleidet gewesen als deren eines. (Evangelium nach Matthäus)
Auch wenn ich keineswegs bibelfest geschweige denn bibeltreu bin, möchte ich nach dem neuen noch das alte Testament bemühen: ich wähne mich hier wahrlich im Paradiesgarten. Oder wie der französische Philosoph Voltaire meinte: Das Paradies ist da, wo ich bin.