
Waldbaden ist seit Jahren schon in aller Munde. Man muss aber nicht shinrin yoku, den Trend aus Japan und Korea bemühen, denn in Deutschland ist der Wald tief im kollektiven Bewusstsein verankert: das menschliche Dasein hat seinen Ursprung in den Wäldern, seit den Gebrüdern Grimm spielen fast alle Märchen im Wald, der Wald ist Metapher und Sehnsuchtsort. Es gibt viele Publikationen zum Thema Wald, Waldbaden und dem geheimen Leben der Bäume, nun ist der Wald auch in der Medizin, genauer: der naturheilkundlichen Medizin angekommen.
Immer mehr waldtherapeutische Ansätze (shinrin-ryoho) gibt es in Deutschland, wie auf dem naturheilkundlichen Ärzte-Kongress ZAEN in Freudenstadt mit dem Schwerpunkt Waldgesundheit zu erfahren war. Beim Thema Waldtherapie geht es im Gegensatz zum Waldbaden darum, Menschen, die psychisch oder physisch erkrankt sind, Genesung im Wald zu ermöglichen.
Dr. Katja Oomen-Weltke ist Fachärztin für Allgemeinmedizin im Südschwarzwald.
Sie wendet Waldmedizin in der Praxis an: an der Verus-Klinik, einer privaten Fachklinik für Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie in Todtmoos. Aktuelle Studien, so die Ärztin, belegen, dass Menschen allgemein, aber vor allem solche mit hochsensibler Persönlichkeit, vom Wald profitieren. Die Medizinerin ist auch in Shakti-Yoga, einem speziellen Yoga zur Stärkung der Körpermitte, ausgebildet. Für sie ist „die Verbindung zum inneren Kind, zu Neugier, Begeisterungsfähigkeit und Lebensfreude“ ein Anliegen für ihre Patientinnen und Patienten. Katja Oomen-Weltke hat für ihre Waldtherapie einen Stimmungsfragebogen entwickelt und setzt auf Entschleunigung im Wald: bewusstes langsames Gehen, nicht zu viel reden (Small Talk sei kontraproduktiv), bewusst mit der Sprache umgehen. Handys und Uhren sollen dabei abgegeben werden. Die Wahrnehmung des eigenen Körpers, des Atems, wie fühlt sich der Boden an, das periphere Sehen ohne Fokussierung („weiche Augen“), die Wahrnehmung der Farben, Gerüche und Geräusche im Wald gehören zum Konzept. Ein ganz besonderes Angebot macht die Ärztin mit einer Bachliege: auf einer speziellen Liege in einem Bach dürfen die Patienten, auf dem Rücken liegend, den Blick auf die Baumwipfel gerichtet, die Energie des Wassers und das Plätschern des Bachs erfahren und den so genannten „Herzatem“ spüren. Die Ärztin begleitet sie dabei: „Durch das Herzchakra einatmen und sich vorstellen, die Luft sei voller Glitzer, dabei beim Einatmen Ich liebe mich zu denken, beim Ausatmen Ich liebe dich“.

Ein Akupunkturpunkt unter der Fußsohle, der Punkt Niere 1, sei wichtig bei der Baumübung, bei der die Patientin und der Patient Wurzeln finden und goldene Sonnenstrahlen von oben nach unten in die eigenen Wurzeln schicken soll. Nach dieser Übung ist zehn Minuten stilles Sitzen an einem schönen Platz angesagt. Bilder aus der Natur werden auf den Körper übertragen: die Bäume stehen für Ruhe, Aufrichtung und Stabilität, eine Raupe für eine bewegliche Wirbelsäule, ein Schmetterling für Leichtigkeit (dieses Bild sei vor allem für depressive Patienten hilfreich).
Vom Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung berichtete Prof. Dr. Dr. Angela Schuh von der Ludwig-Maximilians-Universität München in einem lebendigen Vortrag via Zoom über die Schutzfunktion des Waldes. Sie wäre gerne vor Ort im Schwarzwald gewesen, doch sie durfte coronabedingt nicht aus Bayern ausreisen. Mit der grünen Lunge des Waldes atmen öffne die fünf Sinne und gebe einem das Gefühl, wirklich weg zu sein. „Er schützt vor starker Sonneneinstrahlung in den heißen Sommern, aber auch vor Kälte und Niederschlägen und es gibt weniger Feinstaub in den Wäldern“. Der Wald wirke wie „eine Käseglocke“. „Die Luft ist rein und würzig, der Lärm gedämpft und der Boden weich. Waldklima ist ein Schonklima“. Die Waldtherapie entlaste die Atemwege und die Haut und habe eine gesundheitsfördernde Wirkung auf Herz und Gefäße. Schon nach zwei Stunden Aufenthalt im Wald könne man besser schlafen, auch aufgrund des Dämmerlichts im Wald. Für alle, die gerne joggen oder walken, ist dies interessant: „im Wald wird durch die kühlere Luft der Trainingseffekt verdoppelt, die körperliche Leistungsfähigkeit gesteigert“, so Prof. Schuh. Die Abhärtung durch einen Aufenthalt im Wald sei durch wissenschaftliche Studien erwiesen. Die Ästhetik des Waldes wirke auch auf die Psyche, Studien v.a. aus Asien belegen, dass der Wald eine signifikante Rolle spiele, um die mentale und physiologische Gesundheit zu fördern. So berichtet sie von Studien aus Finnland, Schweden, Dänemark und Deutschland, die die Erholung im Wald bestätigen: negative Stimmung und Angst wurden reduziert, die positive Stimmung der Probanden angehoben. In Schweden wurde eine Studie durchgeführt, in der stressbelastete Menschen zwei Mal wöchentlich 3 bis 4 Stunden im Wald waren: sie konnten danach besser schlafen, die Erschöpfung war reduziert und der Blutdruck gesunken. Mehr Alphawellen konnten im Gehirn nachgewiesen werden, (diese treten beim Einschlafen auf), der Cortisolspiegel sank und das parasympathische Nervensystem wurde angeregt. In einer Berliner Studie wurde nachgewiesen, dass Kinder, die in grüner Umgebung aufwachsen, weniger psychische Erkrankungen zeigten. Die vielbesungenen Terpene der Nadelbäume und die Isoprene der Laubbäume sollen noch dazu Killerzellen veranlassen, auch gegen Krebszellen vorzugehen. Allerdings sei dies noch nicht abschließend wissenschaftlich abgesichert. Überhaupt müsse die mitteleuropäische Forschung verstärkt werden, so die Waldtherapeutin.
In Bayern gibt es schon ein Projekt mit dem Namen „Kur und Wald“, mit Waldkurorten und Waldheilbädern. Ebenso, so war auf dem Kongress zu erfahren, gibt es ausgewiesene Heil- und Kurwälder in Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz (in Baden-Württemberg bislang noch nicht). Man weiß allerdings nicht, so Angela Schuh, wie lange der gesundheitsfördernde Effekt nach einem Waldaufenthalt anhalte, deshalb gilt ganz einfach: „regelmäßig in den Wald gehen.“

Quellen: ZAEN-Kongress Freudenstadt, September 2020
Waldtherapie – das Potential des Waldes für Ihre Gesundheit, Springer Verlag 2019, Angela Schuh und Gisela Immich