Schöne Aussichten in Tübingen

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Blick aus Hölderlins Schreibstube auf den Neckar

Was die Menschen hierzulande schmerzlich vermissen, hat der schwäbische Lyriker Hölderlin 35 Jahre seines Lebens freiwillig getan: unter die Menschen, nach draußen zu gehen, das interessierte ihn nicht. Er zog sich in sein Turmzimmer zurück und skandierte des nachts seine Gedichte bei geöffnetem Fenster Richtung Neckar.
Das aktuelle Tübinger Modell, Cafés, Theater und Museen durch Schnelltest-Pflicht wieder zu öffnen, wäre für Hölderlin uninteressant, suchte er sein wahres Leben doch lieber in den eigenen Innenwelten. Allenfalls die Aussicht auf seinen geliebten Neckar verband ihn mit der Welt: 

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Impressionisten in Stuttgart

Hier darf die impressionistische Malerei freigewischt werden

Wie schön! Die Ausstellung Mit allen Sinnen – Französischer Impressionismus in der Staatsgalerie Stuttgart ist seit dieser Woche wieder geöffnet. Nach vier Monaten Lockdown-Pause dürfen nun die Werke von Manet, Renoir, Monet, Pissarro, Sisley und Degas wieder gezeigt werden. Auch Impressionistinnen sind dabei: Berthe Morisot, der in Paris eine Dauerausstellung im Musée Marmottan gewidmet ist und Mary Cassatt, die eine enge Weggefährtin von Degas war. Das Besondere an dieser Ausstellung ist, dass mehr als die Hälfte der Bilder, nämlich 33 von 60 Exponaten, Bilder aus anonymen Privatsammlungen sind (und übrigens auch nicht fotografiert werden dürfen).

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Weltstadt mit Schmerz

Plakat am Münchner Stadtmuseum

Gelockert wird (noch) nicht, auch wenn der Inzidenzwert in München nun bei unter 50 liegt. So hat es Münchens OB Dieter Reiter unmissverständlich klar gemacht. Weltstadt mit Schmerz statt Weltstadt mit Herz. Lieber als die Headlines der Münchner Tageszeitungen, die an jeder Straßenecke prangen, schaue ich mir bei meinem Rundgang vom Sendlinger Tor Richtung Isar die Plakate und Tafeln in der Innenstadt an.

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Warten auf Godot

Eingangsbereich der Staatsgalerie Stuttgart, Oktober 2020

25. Januar 2021

Heute habe ich im Radio gehört, dass italienische Museen in den sogenannten gelben Zonen ab sofort wieder öffnen dürfen. Sehnsuchtsvoll warte ich nun darauf, dass auch hierzulande ein Museumsbesuch bald wieder möglich ist. Tübingen, Münster oder Rostock wären doch schon ein Anfang, das sind ja quasi gelbe Zonen. Gelb ist ja auch die Farbe der Lebenskraft und der Heilung, zumindest für mich. Überstreichen wir unsere trüben Gedanken mit gelb!

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Hoffnung mit Hölderlin

Wo aber Gefahr ist, da wächst das Rettende auch, scheint Hölderlin mit Blick auf den Stocherkahn zu denken. Ein ausnahmsweise mal leicht verständlicher Satz des schwäbischen Lyrikers, der im Hölderlinjahr 2020 und in Pandemiezeiten durchaus etwas Tröstliches hat (das Werk des Dichters, der in diesem Jahr seinen 250.Geburtstag feiert, hat ansonsten ja eher etwas Kryptisches). Der Künstler Ottmar Hörl hat nun der Stadt Tübingen und seinen Bürgerinnen und Bürgern 250 Plastik-Hölderline auf die Neckarmauer und die Stiftskirchentreppe gestellt, die noch bis zum 25.Oktober bewundert werden dürfen.

An der Neckarmauer sind sie fixiert, an der Treppe ist es erlaubt, den einen oder anderen Hölderlin umzuplatzieren oder sich neben ihn zu setzen.
Bei der Gelegenheit ist auch die gut gemachte multimediale Ausstellung im Hölderlinturm zu empfehlen, die mir persönlich das Werk des Lyrikers etwas mehr erschlossen hat. Sie ist noch das ganze Jahr von Montag bis Donnerstag zwischen 11 und 17 Uhr bei freiem Eintritt zu sehen und mit allen Sinnen zu erfahren.

Hervorgehoben

Panta rhei: Radeln am Neckar

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Der Neckar zwischen Bad Niedernau und Obernau

Panta rhei, alles fließt, meinte Heraklit, so wie der Neckar die gut 360 Kilometer von seinem Ursprung bis zur Mündung. Der griechische Philosoph vergleicht das menschliche Sein mit einem Fluss. Alles fließt und nichts bleibt, alles ist nur ein ewiges Werden und Wandeln. Um wieder in den Fluss (oder den Flow) zu kommen, ist der gut ausgeschilderte Neckartalradweg zwischen Horb und Tübingen eine schöne Radleretappe.

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Horb am Neckar

Ein wahrer Genuss ist es, sich durch die idyllische Flusswelt mit den pittoresken Weilern treiben zu lassen.

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Wasserhüterin in Bieringen

Auch die weibliche Naturphilosophie beinhaltet das panta rhei des Heraklit. In Bieringen, das idyllisch an zwei Flüssen und Quellbächen liegt, begegnet einem das Kunstprojekt Wasserhüterinnen an der Brücke. Die Künstlerin Theresia K. Moosherr beschreibt es als Symbol des Weiblichen, als Bewahrerin der Schöpfung und für ein Denken, das auf Ganzheit setzt.
Die Wasserhüterinnen sind auch am Mühlsteig in Bad Cannstatt zu sehen. Das Kunstprojekt soll eines Tages den ganzen Lauf des Neckars von der Quelle bis zur Mündung umspannen.

Immer am Fluss entlang geht es weiter. Wer jetzt seine Muskeln und Blutbahnen mit Magnesium und Calcium aus den hiesigen Quellen versorgen möchte, kann auf der Fahrt einen Abstecher zur Sprudelfabrik in Obernau machen. Oder als Alternative im nächsten Ort, Bad Niedernau, zur alten Römerquelle radeln. Das Wasser dort ist übrigens auch behütet, allerdings vom Relief des gallo-römischen Quell-und Heilgottes Grannus. Um zur Römerquelle zu kommen, muss man den Radweg verlassen und in den Ort hinein bis hinter den Kurpark radeln.

Weiter gehts nach Rottenburg. Auch hier wieder Spuren der Römer, die mit Sumelocenna eine der wichtigsten römischen Verwaltungsstädte im heutigen Baden-Württemberg gründeten.

Rottenburg: Blick auf das Gästehaus am linken Ufer und die alte Manufaktur

Im 13. Jahrhundert war es Gertrud von Hohenberg, die Stammutter der Habsburger und spätere Königin Anna, die ihre Kindheit und Jugend auf der Weiler Burg oberhalb Rottenburgs verbrachte. Im späten Mittelalter dann, im 15. Jahrhundert, verhalf Mechthild von der Pfalz mit ihrem Musenhof Rottenburg durch Kunst und Kultur zur Blüte, stand mit den großen Humanisten ihrer Zeit in Kontakt und gab den Impuls für die Gründung der Universität Tübingen (der Name Eberhard-Karls-Universität geht auf ihren nicht minder wichtigen Sohn zurück, der auch einen Anteil daran hatte. Der spätere erste Herzog von Württemberg indes war nicht der Gründer der Uni, wie auf einem Mechthild-Symposium 2019 zu erfahren war).
Seit dem 14. Jahrhundert bis 1806 gehörte Rottenburg zu Vorderösterreich, was man auch an den historischen Bauwerken am Marktplatz sieht. Einige Jahre später, nun als Teil Württembergs, wurde das katholische Rottenburg dann zu einer Diözese mit Bischofssitz.

Nur gut zehn Kilometer entfernt liegt die alte protestantische Residenz- und Universitätsstadt Tübingen. Zwischen den beiden so unterschiedlichen Städten schauet die Wurmlinger Kapelle still ins Tal hinab (Ludwig Uhland), eine Landmarke, die man kilometerweit sieht. Für mich beschließt sich hier die inspirierende Fluss-Etappe dann mit dem Wahrzeichen Tübingens, dem Hölderlinturm am Neckar, mitten drin im Postkartenmotiv mit Stocherkähnen. Hier gibt es nun die Option, vom Rad aufs Ruderboot, Tretboot oder in den Stocherkahn umzusteigen und dort die Seele baumeln lassen.

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Neckarfront in Tübingen mit Hölderlinturm

Oder ins Museum im Hölderlinturm zu gehen: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch – dieses Zitat von Hölderlin wurde im Pandemiejahr zu einem regelrechten Leitmotiv. 2020 wurde der 250. Geburtstag des schwäbischen Lyrikers begangen. Auch wenn vieles im Jubiläumsjahr nicht stattfinden konnte: das neugestaltete Hölderlinmuseum lädt zu einem inspirierenden multimedialen Rundgang ein. Im Turm verbrachte der schwäbische Lyriker 35 Jahre seines Lebens in der Obhut der Schreinersfamilie Zimmer, hatte durch viele Fenster den Blick auf den Neckar, der Teil seines seelischen Erlebens war und hinderte seine Pflegefamilie am Schlafen, wenn er des nachts durch den Flur schritt, um seine Gedichte besser skandieren zu können.

Auch Elena tat dies im Hölderlinturm – beim Treppensteigen – und hat sich von dem schwäbischen Lyriker am Neckar für ihre eigenen Texte inspirieren lassen.

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Im Hölderlinturm Tübingen

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Noli me tangere auf dem Skulpturenpfad

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Stiftskirche Herrenberg – Blick vom Skulpturenpfad

Was tun, wenn die Türen von Ausstellungen geschlossen sind und auch andere kulturelle Inputs in weiter Ferne?
Beim Spazierengehen habe ich mir deshalb wieder mal den Jerg Ratgeb Skulpturenpfad vorgenommen, der vom Herrenberger Bahnhof bis zum Schlossberg hochführt, ein Freiluftmuseum also. Wie schön, dass Kunst auf diese Weise schweren Zeiten trotzt.
Jerg Ratgeb war ein Maler und wichtiger Anführer der aufständischen Bauern in Süddeutschland und hat zu Zeiten Albrecht Dürers gelebt. 1526 wurde er, gut vierzigjährig, durch die damals übliche Foltermethode der Vierteilung hingerichtet.

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Auf Spurensuche: Künstlerinnen in Montparnasse

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Friedhof Montparnasse – am Grab von Agnès Varda

Création, inspiration et partage war das Motto der großen Filmemacherin und Fotografin Agnès Varda: Kreation, Inspiration und Teilen. Inspiriert war sie bis zu ihrem Tod im März diesen Jahres, die „Großmutter der Nouvelle Vague“, wie sie auch genannt wurde (sie selbst sah sich eher als Visual-Art-Künstlerin). Agnès Varda war eine der Schlüsselfiguren des modernen Films und erhielt 2017 den Ehrenoscar für ihr Lebenswerk. Im Februar war sie noch auf der Berlinale und Ende März ist sie, 90-jährig, für immer gegangen.  Weiterlesen „Auf Spurensuche: Künstlerinnen in Montparnasse“

Carpe diem in villa rustica

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Blick aus der Porticushalle im Hauptgebäude der Villa Rustica

Unweit der imposanten Burg Hohenzollern, Stammhaus des preussischen Königs- und deutschen Kaiserhauses, gibt es einen anderen sehenswerten geschichtsträchtigen Ort, die Villa Rustica von Hechingen-Stein. Es ist ein römisches Freilichtmuseum aus dem 1. bis 3. Jahrhundert n.Chr., das in den 80er Jahren freigelegt wurde.

Mein Vormittag dort – unter fachkundiger Führung – war ein inspirierender Ausflug in die Geschichte Süddeutschlands, die vor knapp 2000 Jahren in der damaligen Provinz Raetia von den Römern geschrieben wurde. Sumelocenna, heute Rottenburg, ungefähr 15 Kilometer von der Villa Rustica, dem römischen Landgut entfernt, war damals ein wichtiges Verwaltungszentrum Roms und wurde ebenfalls erst vor wenigen Jahrzehnten beim Bau eines Parkhauses entdeckt und freigelegt.

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Der Heilige Bezirk der römischen Gutsanlage bei Hechingen-Stein

Dass diese Gutsanlage etwas Besonderes war, lässt der rekonstruierte Tempelbezirk ahnen, wo in zehn Kapellen unterschiedlichen Göttern gehuldigt wurde. Hier durften nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner der Villa Rustica Diana und Concordia, Apollo und Jupiter, sondern auch vorbeiziehende Reisende und Händler beim Gott Mercurius um Beistand bitten.

Was profanere Verrichtungen betrifft, so wurden diese unter dem Motto „Pecunia non olet- Geld stinkt nicht“ öffentlich bei einem freundlichen Salve und anschließenden Schwätzchen getätigt.

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Pecunia non olet (Geld stinkt nicht) war das Motto der kostenpflichtigen Toilettenanlage

Die Römer bauten Straßen und Städte, Badeanlagen und Befestigungen und bauten ein Verwaltungswesen auf, das seinesgleichen sucht – bis aus dem Norden nach gut 200 Jahren ein Stamm der Germanen, die Alamannen, einfiel und alles in Schutt und Asche legte. Ich wandere im Geist zurück in diese Zeit und werde nachdenklich: Europa – ein einziger Schmelztiegel von Völkern und Kulturen, die sich gegenseitig befruchtet, aber auch zerstört haben. Das kulturelle Erbe der alten Römer wirkt nach – darauf ein Prosit beim schmackhaften Lieblingswein von Kaiser Augustus auf der Panorama-Terasse des Museums.

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Auf der Terasse wird der Römerwein Mulsum angeboten

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Ein Ausflug in die Welt der Philosphie

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Im Sophi-Park Bad Liebenzell: Deutsch-französisches Würfelobjekt bei der Station Aufklärung: paix-Frieden, liberté-Freiheit, amour-Liebe und joie-Freude steht auf dem bunten kleinen Würfel.

Hör mal rein: Heimat-Verliebt Podcast Nr.45

Einer meiner Lieblingsorte ist der Sophi-Park in Bad Liebenzell. Beim Spaziergang durch die poetisch-philosophische Parklandschaft kann man nicht nur die Seele baumeln lassen, sondern auch den Geist stärken, die frische gesunde Schwarzwaldluft schnuppern und sich an Mineralquellen erfrischen. Denn klare Gedanken und klares Wasser seien gut für Körper, Geist und Seele, so ist es hier zu lesen.

A propos: Gleich am Anfang des Rundgangs durch 2500 Jahre Geistesgeschichte sprudelt neben dem Tor zur Antike in einer Quellschale echtes Liebenzeller Mineralwasser – analog zur rituellen Reinigung, die vor dem Eintritt des Apollo-Tempels von Delphi vollzogen wurde. DU BIST, NICHTS IM ÜBERMAß, ERKENNE DICH SELBST steht auf dem Torbogen, den die Besucherin und der Besucher selbst durchschreiten kann. Der Sophi-Park, der für soft Philosophy steht, besteht aus zehn Stationen: Antike, Mittelalter, Renaissance, Denker und Denkerinnen der Region (hier wird neben Hermann Hesse und der Sophi-Park Initiatorin und Autorin Ines Veith auch Udo Lindenberg, der in Calw Konzerte gab, genannt), Aufklärung, Moderne, Philosophen der Welt und Lebensweisheiten. Hundert Sprüche, Weisheiten und Reflexionen stehen auf leuchtenden Acrylschildern inmitten von Blumen und Stauden, die farblich jeweils einer Station zugeordnet sind (so blühen z.B. bei der Antike weiße Pflanzen, in der Aufklärung rote). Zwar nicht stark vertreten, dafür umso eindrucksvoller, sind die östlichen Traditionen: So ziert ein goldenes OM, das in einem Tempel in Indien geweiht und von einem Schwarzwälder Bildhauer in einen schönen Felsstein integriert wurde, den Weg durch die verschiedenen Stationen. „Im OM ruht die Welt“ steht als Zitat (besser: Mantra) des großen Yoga-Meisters und Arztes Swami Shivananda zu lesen.

Und weil nicht nur die Yoga-Philosophie und die europäische Philosophie, sondern auch das Spiel zu einem lebensbejahenden und humanistischen Weltbild gehört, ist auch eine Kinderstation und ein Boule-Platz eingerichtet. Am Ende des Spaziergangs kann man noch ins liebevoll renovierte badhaus 1897 an der Nagold sitzen und bei Kaffeespezialitäten und hausgemachtem Kuchen die Zeitreise nachklingen lassen. Übrigens: der Sophi-Park ist bislang noch einmalig in Deutschland und Europa!

Tipp: Der neue Roman von Ines Veith „Sophi-Park“, der in Tübingen, Capri und Bad Liebenzell spielt, ist im Herbst 2019 erschienen. Ines Veith ist die Autorin des Bestsellers „Die Frau vom Checkpoint Charlie“, der mit Veronica Verres verfilmt wurde.

(Werbung ohne Auftrag)