
Panta rhei, alles fließt, meinte Heraklit, so wie der Neckar die gut 360 Kilometer von seinem Ursprung bis zur Mündung. Der griechische Philosoph vergleicht das menschliche Sein mit einem Fluss. Alles fließt und nichts bleibt, alles ist nur ein ewiges Werden und Wandeln. Um wieder in den Fluss (oder den Flow) zu kommen, ist der gut ausgeschilderte Neckartalradweg zwischen Horb und Tübingen eine schöne Radleretappe.

Ein wahrer Genuss ist es, sich durch die idyllische Flusswelt mit den pittoresken Weilern treiben zu lassen.

Auch die weibliche Naturphilosophie beinhaltet das panta rhei des Heraklit. In Bieringen, das idyllisch an zwei Flüssen und Quellbächen liegt, begegnet einem das Kunstprojekt Wasserhüterinnen an der Brücke. Die Künstlerin Theresia K. Moosherr beschreibt es als Symbol des Weiblichen, als Bewahrerin der Schöpfung und für ein Denken, das auf Ganzheit setzt.
Die Wasserhüterinnen sind auch am Mühlsteig in Bad Cannstatt zu sehen. Das Kunstprojekt soll eines Tages den ganzen Lauf des Neckars von der Quelle bis zur Mündung umspannen.
Immer am Fluss entlang geht es weiter. Wer jetzt seine Muskeln und Blutbahnen mit Magnesium und Calcium aus den hiesigen Quellen versorgen möchte, kann auf der Fahrt einen Abstecher zur Sprudelfabrik in Obernau machen. Oder als Alternative im nächsten Ort, Bad Niedernau, zur alten Römerquelle radeln. Das Wasser dort ist übrigens auch behütet, allerdings vom Relief des gallo-römischen Quell-und Heilgottes Grannus. Um zur Römerquelle zu kommen, muss man den Radweg verlassen und in den Ort hinein bis hinter den Kurpark radeln.

Weiter gehts nach Rottenburg. Auch hier wieder Spuren der Römer, die mit Sumelocenna eine der wichtigsten römischen Verwaltungsstädte im heutigen Baden-Württemberg gründeten. Im späten Mittelalter war es Mechthild von der Pfalz, die am Neckar in Rottenburg der Kunst und Kultur zur Blüte verhalf und die Universität Tübingen gründete (der Name Eberhard-Karls-Universität geht auf ihren nicht minder wichtigen Sohn zurück, der auch einen Anteil daran hatte. Der spätere erste Herzog von Württemberg indes war nicht der Gründer der Uni, wie auf einem Mechthild-Symposium 2019 zu erfahren war).
Seit dem 14.Jahrhundert bis 1805 gehörte Rottenburg zu Vorderösterreich, was man auch an den historischen Bauwerken am Marktplatz sieht. Später wurde das katholische Rottenburg dann zu einer Diözese mit Bischofssitz.
Nur gut zehn Kilometer entfernt liegt die alte protestantische Residenz- und Universitätsstadt Tübingen. Zwischen den beiden so unterschiedlichen Städten schauet die Wurmlinger Kapelle still ins Tal hinab (Ludwig Uhland), eine Landmarke, die man kilometerweit sieht. Am Ende der inspirierenden Fluss-Etappe hat man dann das Wahrzeichen Tübingens, den Hölderlinturm am Neckar erreicht und ist mitten drin im Postkartenmotiv mit Stocherkähnen. Hier kann man nun vom Rad aufs Ruderboot, Tretboot oder in den Stocherkahn umsteigen und dort die Seele baumeln lassen.

Hölderlin isch ned verruggt gwä, Hölderlin war nicht verrückt, so stand es zu meinen Studentenzeiten am Turm, in dem der Lyriker 35 Jahre seines Lebens verbrachte. Dieses Jahr wird der 250.Geburtstag von Hölderlin begangen. Auch wenn vieles im Jubiläumsjahr nicht stattfinden konnte: das neugestaltete Hölderlinmuseum lädt von Montag bis Donnerstag zu einem Rundgang ein. Für Kinder und Jugendliche hat der Hölderlinturm in den Pfingstferien drei Tutorials unter dem Motto „Wohin der Fluss mich treibt“ bereitgestellt. Sie sind unter http://www.hoelderlinturm.digital abrufbar. Ein gut gelungener virtueller Rundgang ist hier zu finden, ansonsten kann das Museum mit Maske betreten werden, bei freiem Eintritt und mit dem Trost des schwäbischen Dichters: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.