
Juli 2019
Unter einem Baum am Wasser zu sitzen ist für mich bei sengender Sonne eine wahre Wohltat. In Überlingen am Bodensee, wo ich im Frühjahr und Herbst gerne mal ein Wochenende verbringe, ist es mir aber momentan zu schwül und zu heiß. Und anscheinend ging es schon der Dichterin Anette von Droste-Hülshoff vor 200 Jahren so, als sie die Sommer in Meersburg, unweit von Überlingen, bei ihrer Schwester und deren Familie verbrachte. Der Blick auf den schneebedeckten Säntis war ihr Trick, um sich abzukühlen (wahrscheinlich war ihr das schwäbische Meer zu warm, oder war Baden zu der damaligen Zeit in ihren Kreisen nicht angesagt). Und so denken wir uns den Konjunktiv in Anettes letzter Strophe vom Sommer einfach weg und tauchen mal ein in das Bild des schneebeckten Säntis als Mentaltrip für einen kühlen Kopf.
Sommer
Du gute Linde, schüttle dich!
Ein wenig Luft, ein schwacher West!
Wo nicht, dann schließe dein Gezweig
So recht, dass Blatt an Blatt sich presst.
Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund;
allein die bunte Fliegenbrut
Summt auf und nieder übern Rain
Und lässt sich rösten in der Glut.
Sogar der Bäume dunkles Laub
Erscheint verdickt und atmet Staub.
Ich liege hier wie ausgedorrt
Und scheuche kaum die Mücken fort.
O Säntis, Säntis! läg′ ich doch
Dort, – grad′ an deinem Felsenjoch,
Wo sich die kalten, weißen Decken
So frisch und saftig drüben strecken,
Viel tausend blanker Tropfen Spiel;
Glücksel′ger Säntis, dir ist kühl!
