Entschleunigung

Klostergang
Kloster Bebenhausen bei Tübingen

27.03.2018

Bald ist Ostern und gerade ist Fastenzeit. Die knapp sieben Wochen zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag nutzen manche zu „Sieben Wochen ohne“: ohne Alkohol, ohne Schokolade, ohne Fleisch, ohne Smartphone. Ohne Smartphone? Nein, das habe ich mir ausgedacht. Bin zumindest noch niemandem begegnet, außer denen, die eh keins benutzen – und dazu gehöre ich. Und weil Fastenzeit ist, denke ich gerade ein bisschen über das nach, was sich reduzieren ließe. Auch für mich.

Ich gebe zu, ich bin eine unverbesserliche Exotin in dieser Hinsicht. In letzter Zeit werde ich oft gefragt, warum ich kein Smartphone habe, nein, besser gesagt, es wird mir empfohlen, mir eins zuzulegen. Die simple Aussage, dass ich keines brauche und möchte, verstört den einen oder die andere. Dann wärst du im WhatsApp-Verteiler, dann wärst du besser und schneller erreichbar, dann wäre die Kommunikation leichter. Leichter? Ich sehe das anders. Der Datenmüll, der laufend verschickt wird, ist mir zuviel. Ich möchte entschleunigen. Mir reichen E-Mail und Telefon, meinetwegen auch sms, aber und vor allem die direkte Begegnung Face to Face mit Menschen vollkommen aus.

Ich sitze in der Bahn und sehe verkabelte Menschen. Es ist, als ob am Kopf eine unsichtbare Schnur nach oben geht, ferngesteuerte Menschen, nicht alle, aber die meisten, starren auf ihre kleinen Bildschirme, als ob sich darin der Stein des Weisen befinden würde. Vor zehn Jahren noch habe ich Menschen gesehen, die aus dem Fenster schauten, ihren Gedanken nachhingen, ein Buch lasen oder ihre Mitfahrenden beobachteten. Diese Menschen werden immer weniger.

Auch in der direkten Begegnung – denn die pflegen wir ja weiterhin – liegt das Smartphone immer griffbereit. Wie ein Baby, das man nicht allein lassen kann.

Es reicht mir vollkommen aus, dass ich via Internet am Laptop (denn das nutze ich ja, aber ich möchte es gerne reduzieren), täglich die Greuel dieser Welt, die Verletzungen und Erniedrigungen, die Menschen Menschen aber auch Tieren zufügen, auf dem Tablett  bzw. tablet serviert bekomme. Ich muss nicht auch noch stündlich daran erinnert werden.

Dazu kommt die ständige Erreichbarkeit, die im übrigen auch immer mehr psychische Erkrankungen verursacht.

Gerade lese ich ein schönes Buch des französischen Buddhisten Matthieu Ricard, Übersetzer des Dalai Lama. Er kommt ursprünglich aus einer sehr intellektuellen Pariser Familie, ist promovierter Molekularbiologe und lebt seit 30 Jahren in einem nepalesischen Kloster. Der simple Buchtitel lautet „Glück“.

Wie schalte ich das Gedankenkarussel aus, bleibe bei mir, genieße den Augenblick im Hier und Jetzt? Wie erreiche ich diese glückvolle Leere in meinem Kopf, die gesundend wirkt und sogar Schmerz reduziert? Die Antwort ist: üben, üben, üben.

Schließt mal die Augen, schaltet euer Smartphone aus und fangt an zu zählen.

Konzentriert euch nur auf die Zahlen und sobald ein Gedanke auftaucht, fangt von vorne an.

Kaum einer schafft es bis 100, ohne, dass sich Gedanken einschleichen. Ich habe es mal bis 85 geschafft, aber da war ich unter Meditierenden in einem Yogazentrum. Das in den Alltag zu integrieren, ist schwieriger, als einen Überblick über die täglich eingehenden Nachrichten zu behalten.

Ich kenne aber auch Menschen, die ihr Smartphone anders nutzen: es gibt tolle Meditations-Apps, die einen nach einer halben Stunde mit einem sanften Gong wieder zurück in diese Welt holen 😉

Ich wünsche erstmal viel Glück beim Zählen!

Anmerkung: erst kürzlich ist das Buch des Tech-Gurus und Vordenkers des Internets,
Jason Lanier, erschienen: „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort
löschen musst“ – absolut lesenswert! (Werbung ohne Auftrag).

 

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